Kinder im Zivilprozess
Es ist unvermeidlich, dass auch Kinder regelmässig von Gerichtsverfahren betroffen sind. Hier erfahren Sie, welche Mittel den Zivilgerichten zur Verfügung stehen, um den Interessen dieser Kinder bestmöglich Rechnung zu tragen.
Verfahrensrechtliche Grundsätze
Sobald Kinder in ein Gerichtsverfahren involviert sind, gilt das Kindeswohl als oberste Maxime. Um sicherzustellen, dass bei der Rechtsanwendung die Situation von Kindern und Jugendlichen bestmöglich berücksichtigt wird, gelten deshalb unter anderem in Bezug auf Kinderbelange besondere Verfahrensgrundsätze:
Während das Gericht im gewöhnlichen Zivilverfahren die tatsächlichen Umstände nur soweit berücksichtigt, als eine Partei behauptet und beweist, dass sie sich entsprechend zugetragen haben, erforscht es den Sachverhalt in Bezug auf die Kinderbelange von Amtes wegen (sog. Untersuchungsmaxime). Dabei ist es zwar nach wie vor primär an den Eltern, dem Gericht die entscheidenden Tatsachen darzulegen und diese auch zu beweisen. Dennoch muss das Gericht sich darum bemühen, sich ein möglichst umfassendes Bild der Umstände zu verschaffen. Dazu muss es alle notwendigen und geeigneten Abklärungen vornehmen und Beweise auch von sich aus erheben, wenn dies das Wohl des Kindes erfordert.
Darüber hinaus entscheidet das Gericht über Kinderbelange ohne Bindung an die Parteianträge (sog. Offizialmaxime). Das bedeutet, dass sich das Gericht bei seiner Entscheidung über Kinderbelange primär davon leiten lässt, welcher Entscheid dem Kindeswohl am besten gerecht wird. Dazu kann es auch von dem abweichen, was die Eltern beantragen. Dies gilt selbst dann, wenn sich die Eltern diesbezüglich einig sind.
Familienrechtliche Verfahren sind zudem zum Schutz aller Beteiligten, nicht zuletzt aber der betroffenen Kinder, generell nicht öffentlich.
Kinderanhörung
Im Trennungs- oder Scheidungsverfahren werden oft auch Entscheidungen getroffen, die sich auf das tägliche Leben der Kinder unmittelbar auswirken. Deshalb ist es wichtig, dass die Kinder in diese Entscheidungen miteinbezogen werden, soweit ihnen dies aufgrund ihres Alters und der konkreten Umstände möglich und zumutbar ist. Zudem kann ein Gespräch mit den Kindern der Richterin oder dem Richter oft auch einen Eindruck der Situation der Kinder innerhalb der Familie vermitteln. Dazu ist die Kinderanhörung da.
Die Kinderanhörung ist ein informelles Gespräch zwischen der Richterin oder dem Richter und dem Kind bzw. den Kindern. Sie findet in der Regel nicht im Gerichtssaal, sondern im Büro der Richterin bzw. des Richters oder in einem anderen geeigneten Raum statt, in dem eine möglichst neutrale und entspannte Atmosphäre herrscht. Die Eltern sind dabei nicht anwesend, um eine Beeinflussung der Kinder zu vermeiden. Hingegen kann es sein, dass sich noch eine weitere Gerichtsperson im selben Raum befindet, um die anschliessende Protokollierung des Gesprächs zu erleichtern.
Das Kind soll sich in der Anhörung frei von den für solche Situationen typischen Loyalitätskonflikten mitteilen können. Deshalb ist die Anhörung grundsätzlich vertraulich. Den Eltern wird nur dann eine schriftliche Zusammenfassung der Anhörung zugestellt, wenn das Kind damit einverstanden ist.
Ob im konkreten Fall eine Anhörung durchzuführen ist, entscheidet das Gericht aufgrund der Umstände im Einzelfall. Bei kleinen Kindern oder wo andere wichtige Gründe dagegensprechen, kann auch auf eine Anhörung verzichtet werden. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn das Kind durch die Anhörung besonders belastet würde. Die Durchführung einer Kinderanhörung ist jedoch die Regel, der Verzicht darauf lediglich die Ausnahme.
Das Bundesgericht geht im Sinn einer Richtlinie davon aus, dass die Kinderanhörung grundsätzlich ab dem vollendeten sechsten Altersjahr möglich ist. Jüngere Kinder sind oft nicht in der Lage, die Bedeutung des elterlichen Konflikts richtig zu erfassen. Hingegen kann es durchaus sein, dass sich je nach den konkreten Umständen auch die Anhörung eines jüngeren Kindes aufdrängt, etwa wenn von mehreren Geschwistern das jüngste kurz vor dem genannten Schwellenalter steht.
In Fällen, in denen für die Bewertung von Äusserungen der Kinder Fachwissen nötig ist, kann das Gericht auch Experten beiziehen.
Ob Wünsche der Kinder, die diese in der Anhörung äussern, berücksichtigt werden oder nicht, hängt stark vom Alter der Kinder ab. Auf die Meinung von Kindern, die im rechtlichen Sinne urteilsfähig sind (das ist meist ab einem Alter von etwa 11 bis 12 Jahren der Fall) wird grundsätzlich Rücksicht genommen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass das Urteil zwingend so ausfällt, wie das Kind sich dies gewünscht hat. Auch die von jüngeren Kindern geäusserten Wünsche fliessen in den Entscheid ein. Sie bedürfen jedoch meist einer stärkeren Interpretation, sodass ihnen nicht dasselbe Gewicht beigemessen werden kann wie den Äusserungen älterer Kinder.
Weitere Informationen über die Kinderanhörung finden Sie in den Broschüren des Marie Meierhofer Instituts für das Kind [MMI] & UNICEF Schweiz, die nachfolgend zum Download bereitgestellt werden. Wenn Sie mit Ihren Kindern über die Anhörung sprechen möchten, können diese Broschüren eine wertvolle Unterstützung bieten.
Kindesvertretung
Es kann sein, dass Eltern derart zerstritten sind, dass keiner von beiden mehr in der Lage ist, die Interessen der Kinder im Verfahren angemessen zu vertreten. Wenn auch die Richterin oder der Richter den Kindeswillen nicht hinreichend ermitteln kann, ist es in solchen Fällen manchmal hilfreich, wenn eine neutrale und fachlich qualifizierte Drittperson mit der Vertretung der Kindesinteressen beauftragt wird.
Eine Kindesvertreterin oder ein Kindesvertreter soll die Position des Kindes im Verfahren stärken. Sie oder er begleitet das Kind durch das Verfahren, erklärt ihm dessen Ablauf, bespricht mit ihm allfällige Entscheide und vermittelt umgekehrt die Meinungen und Wünsche des Kindes dem Gericht. Darüber hinaus ist die Kindesvertretung aber nicht nur dem subjektiven Willen des Kindes, sondern auch dem objektiven Kindeswohl verpflichtet. Im besten Fall kann sie oder er aufgrund der unabhängigen Stellung auch eine Vermittlungsfunktion zwischen den Eltern ausüben.
Zur Erfüllung ihrer Aufgabe kann die Kindesvertretung jederzeit Eingaben beim Gericht machen, Anträge stellen und Rechtsmittel einlegen, soweit es um die Zuteilung der elterlichen Sorge oder der Obhut, wichtige Fragen des persönlichen Verkehrs, die Aufteilung der Betreuung, den Unterhaltsbeitrag oder um Kindesschutzmassnahmen geht.
Das Gericht setzt eine Kindesvertretung entweder von sich aus ein, oder aber auf entsprechenden Antrag der Eltern oder des Kindes. Stellt das urteilsfähige Kind Antrag auf eine Vertretung, so ist diese anzuordnen.
Eröffnung des Entscheides
Kinder, die mindestens 14-jährig sind, werden vom Gericht persönlich über einen gefällten Entscheid informiert, soweit er sie betrifft.
Haftungsausschluss
Die Inhalte dieser Website stellen ein unverbindliches Informationsangebot dar. Obwohl die Informationen regelmässig auf Richtigkeit und Aktualität hin geprüft werden, lehnen wir soweit gesetzlich zulässig jede Haftung für unerwünschte Folgen aus dem Gebrauch dieser Informationen ab.